Seminare fürs Fußvolk

Topmanager fordern von ihren Mitarbeitern, sich laufend weiterzubilden. Die Führungselite drückt jedoch fast nie selbst die Schulbank

Zeit wirkt auf Wissen wie Inflation auf ein Sparbuch: Beides nagt am Wert. Jahr für Jahr schrumpft der Bestand fast unmerklich. "Deshalb ist es eine gute Idee, ab und an das Wissenskonto aufzufüllen, ein Berufsleben lang", sagt Annette Gebauer, Inhabe- rin der Beratung Interventions for Corporate Learning (ICL) in Berlin. 

Dafür muss nicht einmal die Berufstätigkeit unterbrochen werden, wie der Executive MBA zeigt. Hier laufen Arbeit und Lernen parallel. Und die Zahl dieser Angebote wächst: Im Oktober nächsten Jahres wird die Handelshochschule Leipzig (HHL) einen Executive Master an den Start bringen, den sie gemeinsam mit der spanischen EADA durchführt. Vergleichbare Angebote gibt es zum Beispiel von der WHU in Koblenz, der Mannheim Business School und der Universität St. Gallen.

Das mittlere Management und erfahrenerer Führungsnachwuchs nutzen solche Angebote. Wer jedoch nicht zum Executive Training geht, sind die Topmanager. Sie haben, so vermuten sie, ausgelernt – trotz des Imperativs vom lebenslangen Lernen. Diese Erfahrung jedenfalls macht Rudolf Repgen, Bildungsmanager der IESE Business School. Wenn er Top-Führungskräfte trifft, nutzt er die Gelegenheit, sein Advanced Management Program vorzustellen: "Haben sie Interesse zu kommen?", fragt er vorsichtig. "Klar, gerne", antwortet der Topmanager, "welches Thema soll ich unterrichten?" Auf die Idee, dass die Frage als Einladung zur Teilnahme gedacht war, kommt der angesprochene Vorstand gar nicht.

"Lehren ja, lernen nein", so lautet überspitzt der Eindruck, den Repgen aus Kontakten mit manchen Topleuten mitnimmt. Wer einmal in einem Büro auf der obersten Etage angekommen ist, geht nicht auf Kurse und sieht Seminarräume nur noch vom Rednerpult aus. Indizien dafür gibt es zuhauf – etwa ein Seminar der Insead Business School in Paris: "Keine deutschen CEOs an Bord", so lautete die Botschaft bei einer der letzten Runden des Avira-Programms, einem Executive-Training, das sich speziell an die oberste Führungsebene richtet.

John Kayser, Vorstand der Akademie Forum Führung, bestätigt diese Beobachtung. "Die oberste Führungsebene geht nicht ins Seminar", sagt der Coach und Weiterbildungsmanager. Die Erfahrung aus seinen Trainings und Seminaren zeigt ihm, dass die Regel nach wie vor gilt: Klassische Weiterbildung ist etwas für Leute, die noch eine Führungskraft über sich haben. Für den Vorstand selbst aber gilt das nicht mehr – kein Vorgesetzter, kein Seminarbesuch.

Dieses Verhalten ist offenbar Standard. "Es gehört in der Topliga zum guten Ton, sich der Weiterbildung zu verschließen", sagt Christian Scholz, Inhaber des Lehrstuhls für Organisation, Personal und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes. Wertschöpfung durch Wissen wird zwar immer wichtiger, aber einlösen müssen diese Forderung die Mitarbeiter, nicht die Chefs. "Die suchen nicht mehr nach dem Neuen in der Welt, ihren Hunger nach Wissen halten sie für gestillt, sie haben fertig gelernt", kritisiert der Saarbrücker Hochschullehrer.

Ein bitteres Bild. Zwar macht Wissen deutsche Unternehmen stark. Es ist der einzige Rohstoff, über den das Land in ausreichender Menge verfügt. Aber Weiterbildung gilt eher als die Sache der unter 40-Jährigen, die noch einen Weg vor sich haben: "Lernen dient der Karriere", lautet die Diag- nose von Roland Deiser, Leiter des European Corporate Learning Forum (ECLF), eine Plattform für Weiterbildungsverantwortliche führender europäischer Unternehmen. Ein Vorstand aber hat keine weitere Karriere mehr – warum also weiterlernen?

Zumal Lernen nicht zum Ritus der Alpha-Männer gehört. Sie haben voll gepackte Terminkalender, die selten vier Tage am Stück für eine zusammenhängende Aktivität außerhalb des Büros hergeben würden. Zudem zählen Perfektion und ein Schuss Unnahbarkeit zur Aura, die auch die Untergebenen von ihren obersten Chefs erwarten. "Der Mächtige muss etwas darstellen", sagt Boris Grundl, Toptrainer und mehrfacher Buchautor. Mercedes S-Klasse, eigener Fahrer, gute Kontakte zu Spitzenpolitikern, Visitenkarten mit Stahlstich, gelegentlich der Flug im Privatjet – all das gehört zu den Insignien der Mächtigen. Aber unter Seminarteilnehmern sitzen und zuhören? "Nein, das geht nicht. Nur auf den, der vorn steht, fällt ja das Licht", sagt Grundl.

Wissen auf die Schnelle

Dennoch holen sich auch Firmenvorstände neues Wissen – nur anders als ihre Untergebenen. Mal ist es ein Berater oder Trainer, der dem Vorstand einen Vorgang in der Welt da draußen im Detail erklärt. Mal ist es die verschämte Google-Abfrage auf dem Smartphone unter dem Tisch, wenn in einer Präsentation ein neuer, unbekannter Begriff fällt. Und wenn die Bedingungen stimmen, sind auch Seminare erlaubt, aber eben sehr spezielle Angebote. "Nur empfangendes Lernen geht gar nicht", beschreibt IESE-Programmleiter Repgen die Anforderungen der First-Class-Klientel, "die CEO-Liga will unter Anleitung neue Wege erdenken, Entscheidungen verbessern und von den Peers im Seminar lernen."

Deshalb sind es eher spezialisierte Programme, in die sich die obersten Führungskräfte trauen. Sie wollen unter sich sein, Clubatmosphäre genießen – und auf keinen Fall auf einen ihrer Mitarbeiter treffen. überdies wollen sie den Stoff noch komprimierter als in den üblichen MBA-Program- men. Repgen nennt diesen Bedarf Just-in-time-Wissen, also die gelungene, aber schwer produzierbare Mischung aus akademischer Fundierung und sofort anwendbarem Praxiswissen. Als Lieferanten kommen die großen Schulen vom Weltmarkt in Frage. Harvard, Stanford und Wharton. Nur solche Namen gelten in diesen Kreisen als akzeptiert. Es muss der Rolls-Royce vom Bildungsmarkt sein – gut, glanzvoll, teuer.

Aber neben den führenden Business-Schools gibt es auch noch andere Stellen, an denen Topmanager ihr Wissen auftanken können. Diese freilich sind einem breiteren Publikum unbekannt. Denn für Events, auf denen die Führungselite lernt, gibt es selten Programmbroschüren und schon gar keine Onlineanmeldeformulare. Wie diese Angebote dennoch zu ihren Kunden finden, zeigte Heinz Goldmann.

Der 2005 verstorbene Megastar unter den Kommunikationstrainern brachte es im Geschäft mit der Management-Oberliga zu besonderer Finesse. Er kannte seine Zielpersonen alle persönlich. Regelmäßig lud er sie per Brief zu seinen Trainings ein. Damit gar nicht erst Zweifel über die Adressaten seiner Angebote aufkam, verwendete Goldmann stets die Etiketten "Only for CEOs" und "Invitation only" – Teilnahme also nur für die Geschäftsleitung und nur auf Einladung.

Seine Zwei-Tages-Seminare wie "Der Unternehmer als Spitzenkommunikator" wurden bis ins letzte Detail perfekt durchgestylt, einschließlich der zur Zielgruppe passenden Symbolik: Im Schlosshotel Kronberg lassen sich auch statusbewusste Vorstände gerne etwas beibringen. Und ein Preis von 8500 Euro für zwei Tage Goldmann-Seminar signalisierte jedem zweifelsfrei: Das ist kein Angebot für das Fußvolk.

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