Lernen im Verborgenen

Weiterbildung im Topmanagement

Vorne stehen, den Vortrag halten, die Welt erklären, das liegt dem Vorstand. Aber selbst noch einmal auf der Schulbank Platz nehmen? Für viele Topmanager ist das undenkbar. Hauptgrund: Sie fürchten um ihr Macher-Image. Gelernt wird in der Beletage der Unternehmen trotzdem – im geschlossenen Kreis oder heimlich.

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  • kein Vorgesetzter, kein Seminarbesuch: Muster der Management-Weiterbildung
  • Anspruch und Ansehen: Warum Topmanager Seminarräume meiden
  • Training mit Tarnkappe: Wie Weiterbildung in den Teppichetagen vertuscht wird
  • Diskret und on demand: Warum Topmanager Coaching bevorzugen
  • Elitär, exklusiv, erlesen: Zutaten für die Topmanagement-Weiterbildung

Gerade hat Rudolf Repgen einer Top-Führungskraft sein Advanced Management Program vorgestellt. "Wäre das etwas für Sie?", fragt der Bildungsmanager vorsichtig. "Klar, gerne", antwortet der Topmanager, "welches Thema soll ich unterrichten?" Vorne stehen, den Vortrag halten, die Welt erklären, das liegt dem Vorstand. Aber auf die Idee, dass Repgen nur zur Teilnahme am Programm einladen will, kam der angesprochene Vorstand gar nicht.

Aus solchen Gesprächen geht Repgen, Leiter der IESE Business School in Deutschland, einigermaßen verblüfft heraus. „Lehren ja, lernen nein“, so lautet überspitzt der Eindruck, den er aus Kontakten mit manchen Top-Leuten mitnimmt. „Bei Weiterbildung denken die meisten Führungskräfte erst einmal nicht an sich selbst“ sagt der Münchener IESE-Mann, der das 20-Tage-Seminar vermarktet.

Mit seiner Beobachtung ist er nicht allein. Zwar ist lebenslanges Lernen ein gängiger Imperativ, der von Personalressorts, Seminaranbietern und Bildungspolitikern gleichermaßen wiederholt wird. Aber die oberste Klasse des Managements scheint sich davon auszunehmen: Wer einmal in einem Büro auf der Teppichetage angekommen ist, geht nicht in Kurse und sieht den Seminarraum nicht mehr von einem Teilnehmerstuhl aus. Die CXO-Liga*, so scheint es, besteht aus Weiterbildungs-Autisten.

Indizien dafür gibt es zuhauf – etwa ein Seminar der Managerschmiede Insead: "Keine deutschen CEOs an Bord", so lautete die Botschaft bei einer der letzten Durchführungen des Avira-Programms. Zwar waren in diesem Fünf-Tage-Programm reichlich Teilnehmer aus der weltweiten CXO-Liga, etwa der Finanzvorstand der Fluggesellschaft Lan Chile, aber eben keine Vorstände aus Deutschland.

John Kayser, Vorstand der Akademie Forum Führung, bestätigt diese Beobachtung. "Die oberste Führungsebene geht selten ins Seminar", sagt der Coach und Weiterbildungsmanager. Die Erfahrung aus seinen Trainings und Seminaren zeit ihm, dass die Regel "Eins unter Vorstand" nach wie vor gilt: Klassische Weiterbildung ist etwas für Leute, die noch eine Führungskraft über sich haben. Für den Vorstand selbst aber gilt das nicht mehr – kein Vorgesetzter, kein Seminarbesuch.

Dieses Verhalten ist offenbar Standard. "Es gehört in der Top-Liga zum guten Ton, sich der Weiterbildung zu verschließen", stellt Prof. Christian Scholz, Inhaber des Lehrstuhls für Organisation, Personal und Informationsmanagement an der Universität des Saarlandes, ernüchtert fest. Wertschöpfung durch Wissen wird zwar immer wichtiger – aber einlösen müssen diese Forderung die Mitarbeiter, nicht die Chefs. "Die suchen nicht mehr nach dem Neuen in der Welt, ihren Hunger nach Wissen halten sie für gestillt, sie haben fertig gelernt", kritisiert der Saarbrücker Hochschullehrer.

Weiterbildung gilt als Sache der unter 40-Jährigen

Ein bitteres Bild. Zwar macht Wissen deutsche Unternehmen stark. Es ist der einzige Rohstoff, über den das Land in ausreichender Menge verfügt. Aber Weiterbildung gilt eher als die Sache der unter 40-Jährigen die noch einen Weg vor sich haben: "Lernen dient der Karriere", so lautet die Diagnose von Prof. Roland Dieser, heute Leiter des EuropeanCorporateLearningForum (ECLF). Ein Vorstand aber hat keine weitere Karriere mehr – warum also weiterlernen?

Zumal dafür ohnehin kaum Zeit ist. "Vorstände haben sehr enge Terminkalender. Es gibt ungezählte Ansprüche, die bedient werden wollen. Der Erfolgsdruck ist hoch", beschreibt John Kayser die 24/7-Dienstbereitschaft, die in vielen Führungsspitzen Usus ist. Für jede Stunde des Tages warten meist dringendere Aufgaben als die Weiterbildung. Mal ist es das in aller Eile anberaumte Gespräch mit dem Großkunden über einen Millionenauftrag. Mal ist es das Spitzentreffen im Kanzleramt, das viel wichtiger erscheint als der Besuch eines Seminars. "Traditionelles Lernen mit Vortrag und Zuhören klappt auf dieser Ebene nicht mehr. Es wird als nicht funktional angesehen, viele Manager aus der CXO-Liga halten es für verschwendete Zeit", sagt Professor Deiser.

Überdies passt der Seminarbesuch nicht in die Symbolik, mit der sich die Mächtigen umgeben. Das ist die Erfahrung von Boris Grundl. "Nicht-Weiterbildung ist in dieser Liga logisches Verhalten", sagt der Top-Trainer und mehrfache Buchautor nüchtern. Seine Argumentation verläuft so: die tägliche Führungspraxis sein von Macht- und Dominanzstreben geprägt. "Da das aber nicht offen ausgelebt werden darf, wird die Alpha-Position über Symbole gezeigt", sagt Grundl, "der Mächtige muss etwas darstellen." S-Klasse, eigener Fahrer, gute Kontakte zu Spitzenpolitikern, Visitenkarten mit Stahlstich, gelegentlich der Flug im Privatjet – all das gehört zu den Insignien der Mächtigen. Vorträge halten ist für die Alphawesen ebenfalls erlaubt. Aber hinten sitzen, zuhören? "Nein, das geht nicht. Nur auf den, der vorne steht, fällt ja das Licht", so Grundl.

Weiterbildung wird mit Reparaturbedarf verknüpft

Zudem suggeriert die Teilnahme an einem Seminar Reparaturbedarf. Der Platz auf der Schulbank wird mit Aussagen wie "Der kann noch nicht alles", "Defizite ausmerzen", "Wissen fehlt" verknüpft. Von solchen Einschätzungen aber müssen sich Alpha-Männer und –Frauen um beinahe jeden Preis fernhalten.

Diese Forderung nach Perfektion kommt nicht einmal von den Chefs selbst. Belegschaften wollen die Über-Führungskraft, den immer funktionierenden Vorstand. Klaus Eidenschink, Coach und Organisationsberater, erklärt diese verbreitete Rollenzuweisung: "Firmenchefs sollen Sicherheit vermitteln. Von ihnen wird erwartet, dass sie auf alles eine Antwort wissen. Es darf keinerlei Unsicherheit nach außen dringen."

Deshalb bleibt den CXO nichts anderes übrig, als Wissen auf allen Gebieten vorzutäuschen. "Mitmachen, mitreden, auch wenn man nicht weiß um was es gerade geht. So tun, als sei einem der Sachverhalt schon immer geläufig gewesen", beschreibt Organisationskenner Scholz das typische Verhalten. Wer etwa als Vorstand auf einem Meeting zum ersten Mal etwas von KPI hört, ist gut bedient, das Unwissen nicht einzugestehen. Hinterher, wenn keiner es sieht, kann man ja immer noch bei Google nachfragen: KPI steht für Key Performance Indicator, also eine Kennzahl, die die Zielerreichung in einem Schlüsselbereich des Unternehmens abbildet.

Training als geheime Kommandosache

Die Google-Stütze zeigt zudem: Viele Vorstände lernen doch – aber heimlich. Nur so können sie ihr Macher-Image aufrechterhalten. Welche Mühen mancher Firmenchef auf sich nimmt, um nur ja diesen Erwartungen gerecht zu werden, zeigt ein Beispiel, das Edmund Mastiaux vom Zentrum für Management und Personalberatung (ZfM) erlebte. Vor vielen Jahren arbeitete er für den CEO eines großen Konzerns. "Der kam abends um 22 Uhr in unser Büro. Das Training war eine geheime Kommandosache. Keiner durfte etwas davon erfahren", so der Bonner Personalberater.

Die Mischung aus Erwartung, sorgsam kultiviertem Macher-Image und Perfektionsstreben drängt die CXO-Liga ins heimliche Lernen. "Selbstkonzeption und Rollendefinition lassen sichbares Lernen nicht zu", sagt Klaus Eidenschink. Lernen im Schatten ist deshalb in vielen Führungsetagen der Weg der Wahl. Dieselben Vorstände, die eben noch in der Corporate University auf der Bühne standen und den starken Mann gaben, lassen sich Stundne später von Trainern wie Boris Grundl die Welt erläutern: "Aber sie wollen nicht, dass das nach außen dringt. Keiner darf es mitkriegen." Die Tarnkappe beim Lernen muss alles unsichtbar machen, was auf Defizitbewältigung schließen ließe – bis hin zur Abrechnung: "Wir schreiben natürlich nicht 'Weiterbildung' oder 'Coaching' auf die Rechnung. Das darf intern nicht sichtbar sein. Es wird verschlüsselt als 'allgemeine Beratung' abgerechnet", sagt einer der Dienstleister, der sich in diesem Geschäft auskennt.

Coaching ist das bevorzugte Lernformat

Diese Heimlichtuerei zeigt: Vorstände lernen anders als das Fußvolk. "Diskrete Coaching ist eines der bevorzugten Lernformate", weiß ZfM-Chef Mastiaux zu berichten. Diese Form des Eins-zu-eins-Kontakt passt am ehesten in den beinahe rund um die Uhr getakteten Arbeitsalltag der Zielgruppe.

Manchmal lassen die Vorstände sogar noch mehr zu als das Eins-zu-eins-Lernen im Separee. Wenn die Bedingungen stimmen, sind auch offene Seminare erlaubt, aber eben sehr spezielle Angebote. "Nur passives Lernen geht gar nicht", beschreibt Repgen die Anforderungen der First-Class-Klientel, "die CXO-Liga will unter Anleitung neue Wege erdenken, Entscheidungen verbessern und von den Peers im Programm lernen."

Im Kurs von der Stange, durchgeführt von irgendeiner Seminarmühle, gibt es das nicht. Aber das Münchener Advanced Management Programm von IESE zum Beispiel lobt jene Nutzen aus, nach dem bildungswillige Topmanager suchen – das sogenannte "Just-in-time-Wissen", die gelungene, aber schwer produzierbare Mischung aus akademischer Fundierung und sofort anwendbarem Praxiswissen. Auch andere große Marken vom Weltmarkt kommen dafür als Lieferanten in Frage. "Harvard, Stanford, Wharton", zählt Vorstandskenner Kayser auf, was in diesen Kreisen als akzeptiert gilt. Es muss der Rolls Royce vom Bildungsmarkt sein, glanzvoll und teuer.

Aber neben den Business Schools aus der A-Liste gibt es auch noch andere Wissenstankstellen für Topmanager. Diese freilich sind einem breiteren Publikum unbekannt - denn für Events, auf denene die CXO-Liga lernt, gibt es selten Programmbroschüren und schon gar keine Online-Anmeldeformulare. Wie diese Angebote dennoch zu ihren Kunden finden, zeigt Heinz Goldmann. Der 2005 verstorbene Megastar unter den Kommunikationstrainern brachte es im Geschäft mit der Management-Oberliga zu besonderer Finesse. Durch sein jahrzehntelanges Wirken kannte er seine Zielpersonen alle persönlich - und lud sie per Brief zu seinen Trainings ein. Damit kein Zweifel über die Adressaten seiner Angebote aufkam, verwendete Goldmann stets die Etiketten "Only for CEOs" und "Invitation only". Zwei-Tages-Seminare wie "Der Unternhemer als Spitzenkommunikator" wurden bis ins letzte Detail perfekt durchgestylt, einschließlich der zur Zielgruppe passenden Symbolik: Im Schlosshotel Kronberg lassen sich auch statusbewusste Vorstände gerne etwas beibringen - und ein Preis von 8.500 Euro für zwei Tage Goldmann signalisiert zweifelsfrei: Das ist kein Angebot für das Fußvolk.

Publicity ist nicht gewünscht

Besondere Hotels, sorgfältige gefilterte Teilnehmer, Ort und Anlass für das breite Publikum unzugänglich, Clubatmosphäre - das sind die Zutaten für die Weiterbildung, die bei den CXOs ankommt. "Die brauchen Angebote, bei denen sie unter ihresgleichen bleiben und von ihresgleichen lernen", sagt Zielgruppenkenner Repgen. Dass sich auch andere Anbieter auf diesen Stil verstehen, zeigen zwei weitere Beispiele: Seit 57 Jahren treffen sich deutsche CEOs im Herbst zum Unternehmer-Aussprachetreffen. "Nur für geladene Gäste und Mitglieder" steht in der Ankündigung, die der Ausrichter, der Verband "Die Familienunternehmer/ASU", zu diesem Anlassen verbreitet. Das besondere Format hat sich offenbar zu einem Dauerbrenner entwickelt: Die ASU praktiziert P2P-Lernen in Reinkultur, hier tragen Unternehmer ihren Kollegen an zwei Tagen ihre Erfolgsrezepte und Problemlösungen vor. Ähnlich hoch aufgehängt sind auch die Baden-Badener Unternehmensgespräche (BBUG) - ebenfalls ein Klassiker auf dem Markt der verschlossenen Türen. "Am besten, Sie schreiben nichts über untere Veranstaltung", so antwortete der langjährige Geschäftsführer der BBUG, Dr. Peter Zürn, regelmäßig auf Anfrage von Journalisten.

Nicht alle Spitzenkräfte freilich machen hier mit. Mancher hat nach dem Ende des Aufstiegs auch mit dem Lernen abgeschlossen. Wenn doch einmal Informationsbedarf auftritt, der über das tägliche Klein-Klein hinaus geht, wird rasch ein Unternehmensberater zum Termin zitiert: "Da wird dann ein 15- oder 30-minütiger Termin gemacht, der gerade im Haus befindliche Berater bringt dem Vorstand ein neues Wissengebiet nahe", sagt ein langjähriger Insider.

Wer als Vorstand mehr will, muss sich das erkämpfen, sich offen zum Lernen bekennen, den Terminkalender dafür frei schaufeln, auch gegen den Common Sense in mancher Vorstandsetage antreten. "Lernen verlangt Haltung und das Bekenntnis, dass man eben nicht perfekt ist, sondern offen für neues Wissen", sagt Personalberater Mastiaux. Das ist ein CXO-Kreisen nicht überall die verbreitete Einstellung. "Wer sich über Jahre nach oben gekämpft hat, hat es verlernt, sich noch in Frage zu stellen", sagt Trainer Grundl. Dann werde es schwierig, die nächste Stufe der Erkenntnis zu erreichen - Lernen hat in dieser Welt keinen Platz mehr.

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