Im Alltag die Werte leben

PRAXIS. Viele Unternehmenswerte klingen meist so selbstverständlich, aber sie werden nicht gelebt. Die Commerzbank schult deswegen alle ihre Führungskräfte.

Mit seinem Bestseller „Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ nahm Richard David Precht seine Leser mit auf eine philosophische Reise und landete einen unerwartet großen Erfolg. Offenbar suchen viele Menschen nach Orientierung und verbindlichen Werten, die es in einer globalen, immer komplexeren Welt kaum mehr gibt.

Orientierung vermitteln

Orientierung will auch die Frankfurter Commerzbank ihren Führungskräften in Zeiten des Wandels vermitteln. Und ähnlich wie Precht nutzt das zweitgrößte deutsche Kreditinstitut dazu philosophische Erkenntnisse, allerdings primär die, die sich auf die Kunst des Führens beziehen. „Vor über drei Jahren wurde in unserem Konzern ein kontinuierlicher Werteprozess angestoßen. Daran anknüpfend wollen wir mit unserer Seminarreihe erreichen, dass alle Vorgesetzten die definierten „ComWerte“ wie Respekt und Partnerschaftlichkeit, Leistung, Marktorientierung, Teamgeist und Integrität tagtäglich leben“, erklärt Bernd Pompetzki, Leiter der Personalentwicklung und Qualifizierung bei der Commerzbank.

Werte im Führungsalltag verankern

Dazu wurden zunächst Workshops mit den Führungskräften durchgeführt, um diese Werte weiter auszugestalten.„Anschließend führen die Vorgesetzten entlang ihres Bereiches weitere Workshops mit ihren Mitarbeitern durch, um konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die die Werte im Alltag mit Leben füllen“, berichtet Bernd Pompetzki. Dadurch sollte nach und nach die gesamte Belegschaft erreicht sowie die Verantwortung dafür, dass die Maßnahmen umgesetzt werden, auf die Teams vor Ort übertragen werden.

Persönlichkeit als Instrument des Führenden

Dennoch war allen Verantwortlichen klar, dass der Erfolg des Werteprozesses von dem gelebten Führungsalltag abhängt. Pompetzki und seinem Team stießen daher eine Neuausrichtung der Führungskräfteentwicklung an, die berücksichtigt, dass Führende vor allem ein „Instrument“ haben: ihre Persönlichkeit. Für jede Führungskraft sind nun drei aufeinander aufbauenden Seminare, die sich über insgesamt zehn Tage erstrecken, Pflicht. Bislang nahmen bereits 70 Führungskräfte daran teil. Sie lernen zunächst, wie Werte – verstanden als handlungsleitende Normen – ihnen selbst eine Orientierung für ihr Denken und Tun geben. Die Werte müssen in der jeweiligen Person verortet werden. Erst dann können die „ComWerte“ in ihrem alltäglichen Handeln, zum Beispiel bei typischen Führungsinstrumenten, wie etwa Zielvereinbarungen, sichtbar werden.

Philosophischer Ansatz

In Abstimmung mit der Commerzbank entwickelte John Kayser von der Akademie ForumFührung ein Programm, das vorsieht, den Teilnehmern die Kunst des Führens auf der Grundlage der klassisch-humanistischen Bildung zu vermitteln. Gerade in den aktuell turbulenten Zeiten bieten die Erkenntnisse aus Psychologie und Philosophie nach Ansicht von Pompetzki und Kayser eine wichtige praktische Orientierungshilfe, die es ermöglicht, die eigene Persönlichkeit als „Instrument“ kennen zu lernen. Kayser orientiert sich daher an Sokrates, der den Menschen dabei helfen wollte, an Wissen zu gelangen, das sie bereits besitzen. „Sokrates bezeichnete die Vorgehensweise als Mäeutik, als geistige Hebammenkunst“, erklärt der Trainer.

2.500 Jahre Denktradition

„Die Philosophie stellt dazu eine 2.500 Jahre alte Denktradition mit einer immensen Palette an gedanklichen Werkzeugen bereit, auch wenn man nach einheitlichen Vorgehensweisen oder gar einem Regelwerk vergebens sucht“, sagt John Kayser. Statt vorgefertigte Weisheiten und Handlungsanleitungen zu servieren, geht es dem Düsseldorfer Managementtrainer in seinen Seminaren vielmehr darum, die Teilnehmer durch Fragen zum Nachdenken über die eigene Orientierung anzuregen. „Wer sich bewusst ist, wo er steht, und auch, wo er hin will, kann ein klares Bild des zu beschreitenden Wegs vermitteln“, erklärt Kayser. Bei den relevanten Entscheidungen, die während dieser Prozesse zu treffen sind, orientiert sich ein erfolgreich Führender an den Werten, die über technisch-funktionale Ziele hinausgehen. Die rein von der Vernunft her entwickelte Strategie ist zwar unabdingbar, wirkt aber wenig Sinn stiftend. Ein werteorientiertes Verhalten fordert hingegen nicht nur eine Antwort auf das „Wohin?“, sondern auch auf das „Wie“, was in Krisenzeiten umso mehr gelte. Diese grundsätzliche Überzeugung vermittelt Kayser den Führungskräften der Commerzbank.

Verbindliche Seminarbausteine

Ziel ist es, die Souveränität der Führungskräfte zu stärken, ihre persönliche Ausstrahlung und ihre soziale Kompetenzen – insbesondere in Veränderungssituationen – zu verbessern. Die Teilnehmer sollen letztlich ihren persönlichen Führungsstil erkennen und weiterentwickeln. Daher sind auch jeweils ein Seminarblöcke zum Thema „Rhetorik – Führen durch das Wort“ und zum Thema „Führen durch Überzeugen“ eingeplant.

Verantwortliches Führen als Basis

Ausführlich beschäftigen sich die Teilnehmer auch mit Fragen des werteorientierten Managements und was es zum Beispiel für sie bedeutet, ein „verantwortlich Führender“ zu sein, wie sie die Potenziale der Mitarbeiter erkennen, passende Entwicklungsprozesse initiieren und die Mitarbeiter unterstützend begleiten können. „Dass neben den fachlichen auch die sozialen Kompetenzen für den Erfolg wichtig sind, ist allgemein bekannt“, sagt Bernd Pompetzki, „weniger hingegen, dass Glaubwürdigkeit und Vertrauen Folge der ethisch-sittlichen Kompetenz einer Person ist.“

Klassische Tugenden

Begriffe wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Weisheit und Bescheidenheit wurden in den Seminaren lebhaft diskutiert und vertieften den „ComWerte“-Prozess. Dies reicht zum Teil weit in den Alltag hinein. „Die Seminare machten mir deutlich, dass der rechte, bescheiden und gelassene Umgang mit mir selbst eine wichtige Grundlage meines Führungserfolges ist“, bestätigt auch Hans-Jürgen Wischnewski. Eine gute Führungskraft müsse ein glaubwürdiges Vorbild sein, bevor sie das entsprechende Verhalten bei den Mitarbeitern voraussetzen könne. Wischnewski formuliert daher heute keine Erwartungshaltung mehr an seine Mitarbeiter, die er selber nicht vorleben kann. Zudem achtet er darauf, dass er stets authentisch handelt.

Ähnlich erlebt es ein Kollege. Er vertraut nun seinen Mitarbeitern, dass sie selbst den richtigen Weg finden, eine Aufgabe zu lösen. „Zugegeben, es war anfänglich nicht leicht, auf Kontrollmaßnahmen zu verzichten, wenn ich das Gefühl hatte, es folge keine sofortige Umsetzung“, äußert der Bereichsleiter selbstkritisch. Seine Erfahrungen bestätigten ihn aber in seinem Handeln, da es sehr schön zu erleben sei, wenn Mitarbeiter aus eigenem Antrieb über Zwischen- oder Enderfolge berichteten.

Bernd Pompetzki sieht es nun häufiger, dass die Führungskräfte besser delegieren und etwa offene Vorgesetzten-Türen den Mitarbeitern verdeutlichen, dass sie mit Fragen zu ihrem Chef gehen könnten.

ROI ist die Persönlichkeitsentwicklung

Laut dem Personalentwickler berühren die Seminare die Teilnehmer nicht nur als Führungskräfte, sondern auch als Menschen. Der unmittelbare Return-on-Investment der Seminare sei zwar nur indirekt nachweisbar, zumal es dem Trainer weniger um Effizienzsteigerung, sondern um die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten geht. „Dies jedoch führt zu Verhaltensänderungen“, bestätigt Pompetzki. Beispielsweise würden die Seminare klareres Denken und in der Folge bessere Entscheidungen begünstigen.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und Team funktioniert anschließend in der Regel besser. So bestätigt etwa Kai Bierwirth, Geschäftsführungsmitglied der Commerzbank, Regionalfiliale München: „Dies mache ich an der Nachhaltigkeit der Wirkung fest, da die vermittelten rhetorischen und dialektischen Fähigkeiten in der Praxis zu noch besseren Ergebnissen verhelfen.“

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